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Politische Arteriosklerose
(Dezember 1978)

Ein Abonnent der „Stuttgarter Zeitung“ scheint in den Jahren 1933 bis 1945 noch zu jung gewesen zu sein oder keine Zeit gehabt zu haben, Zeitungen zu lesen und Hitlers Rundfunktiraden anzuhören. Anders ist seine Verteidigung derer, die nichts gewusst zu haben behaupten, nicht zu erklären.
In jenen Jahren des Totalterrors teilte die gleichgeschaltete Goebbelspresse jedermann in Stadt und Land höhnisch triumphierend mit,
· dass es einen eindrucksvollen „Tag des Boykotts“ jüdischer Geschäfte gegeben habe;
· dass die jüdische Asphaltliteratur öffentlich verbrannt und ihre Autoren aus der Reichskulturkammer ausgestoßen worden seien,
· dass jüdische Studenten aus den Universitäten entfernt wurden, jüdische Ärzte und Anwälte nur noch die kleine und verarmte jüdische Minderheit behandeln und beraten durften,
· dass jüdische Schauspieler nicht einmal mehr die Nichtarier Shylock und Nathan darstellen konnten,
· dass jüdische Redakteure entlassen und für sie rassenreine Parteibuchkollegen eingestellt wurden,
· dass die existenzvernichtenden, später sogar todbringenden „Nürnberger Gesetze“ in Kraft getreten waren,
· dass der Besuch von Lichtspielhäusern und Theatern, das Halten von Hunden und Katzen, der Besitz von Schmucksacken, Wertpapieren, Fahrrädern, Photoapparaten, Plattenspielern verboten sei,
· dass blinde und taube Juden die schützenden Warnhinweise nicht mehr tragen durften,
· dass die Lebensmittelzuteilungen weit unter das für Volksgenossen geltende Maß auf Hungerrationen gekürzt worden waren,
· dass jüdische Wohnungen (und nur sie) nicht mehr unter Mieterschutz fielen.
Das alles war Schwarz auf Weiß, klar und deutlich, unmissverständlich für jeden, der schon lesen konnte und noch denken wollte, aus den sich jagenden offiziellen Mitteilungen zu erfahren.
Jeder aber, der noch mit offenen Augen in den braunen Alltag zu blicken wagte, sah,
· dass auf Ruhebänken, in Bädern, in Restaurants die Schilder „Juden unerwünscht“ hingen,
· dass in der Nacht, als Gotteshäuser brannten, Glasscherben knöchelhoch auf den Gehsteigen lagen,
· dass Menschen gedemütigt, mit einem gelben Stern gezeichnet, durch die Straßen schlichen,
· dass Deutsche, weil sie Juden waren, keine Straßenbahnen, zumindest aber – auch bei freien Sitzplätzen – nur stehend benutzen durften,
· dass in Dörfern, Gemeinden, Städten und Ländern mit stolzer Freude verkündet wurde, sie seien nun endlich „judenrein“,
· dass Nachbarn, jüdische Nebenmenschen, plötzlich verschwanden und man nie mehr etwas von ihnen hörte!
Und wer außerdem noch Ohren hatte, der konnte das Gebrüll „Juda verrecke!“ Und das Geplärr des Nationalsozialschlagers „Wenn Judenblut vom Messer spritzt, dann geht’s noch mal so gut!“ nicht überhören. Vor allem aber erfuhr er spätestens am 30. Januar 1939 aus Hitlers eigenem Mund die Drohung der geplanten Ausrottung des Judentums in Europa!
Wer nach all dem, was er öffentlich gesehen, gehört, gelesen hatte, noch ein Quentchen Vernunft in seinem manipulierten Gehirnkasten besaß, der ahnte zumindest (auch ohne genaue Kenntnis der Vorgänge in den gefürchteten Konzentrationslagern), zu welchen Scheußlichkeiten dort, hinter den Hochspannungs-Stacheldrähten, die schwarzen und braunen Herren über Leben und Tod fähig und berechtigt waren.
Man konnte es, wenn man nur wollte...

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