Emigrant
f ü r Deutschland
Appell an die Welt
Offener Brief an Roosevelt
Offener Brief an Chamerberlain
Offener Brief an Daladier
Vertriebene Vertreiber
Politische Arteriosklerose
Soldaten unter Mordbefehl
Offener Brief an Roosevelt
(geschrieben am 1. Oktober 1938)
Zwei Urteile wurden in München gefällt; das eine über
die Tschechoslowakei, ein anderes über die Demokratien Europas.
Das Land der Tschechen und Slowaken wurde schwer verwundet; zu Tode
getroffen wurden die großen Mächte des Westens. Ein Fehler
wäre es daher, von diesen Staaten, von England und von Frankreich,
noch etwas zu erwarten, zu erhoffen.
Um so mehr gehen nun alle Gedanken, die einer gesunden und freien
Zukunft gelten, Ihrem Land zu, Herr Präsident! – dem
Land der Vereinigten Staaten von Nordamerika.
Diese „Neue Welt“, von der dunklen Flut europäischer
Zerrüttung und Auflösung durch einen breiten Ozean getrennt,
ist heute das Ziel der Sehnsucht vieler – vor allem derer,
die das Schicksal dieses „Friedens“ zu zermalmen droht.
Mannigfach sind die Probleme und die Schwierigkeiten, die aus fremdem
Verschulden über dieses Land hereingebrochen sind, und Pflicht
der Diplomaten, die diese Lage schufen, wird es sein, dafür
zu sorgen, dass dieser Staat nicht seiner Not erliege.
Mir aber, der ich selbst schon jahrelang das Dasein eines Emigranten
führe, der ich die Not der Heimatlosigkeit, der Arbeitslosigkeit,
der Ausweglosigkeit, die grauen Tage und die dunklen Nächte
kenne, mir liegt in diesen Wochen das Schicksal meiner Kameraden,
der Emigranten aus dem Reiche Hitlers und der aus den von Hitler
okkupierten Teilen Böhmens sehr am Herzen.
Die deutschen Emigranten, die seit dem Jahr 1933 in diesem Land
Asyl und Schutz gesucht und – trotz mannigfacher Schwierigkeiten
– auch gefunden haben, sind heut, da der „Friedenspakt“
der Mächte und der Verlust des Festungsgürtels die Tschechoslowakei
fast hilflos an den großen Nachbarn ausgeliefert hat, in ihrer
Freiheit und in ihrem Leben schwer bedroht. Die neue Lage dieses
Landes, die wirtschaftlich, politisch, sozial aufs äußerste
gespannt ist, trägt die Zugewanderten nicht mehr. Das Land
ist nun zu arm, die Not zu groß, die Zukunft viel zu düster,
als dass die meist nur durch private Mittel Unterstützten noch
weiter Hilfe suchen und in Anspruch nehmen könnten. Die tschechischen
Bedürftigen (und ihre Zahl wird groß sein) gehen für
die Zukunft vor.
Doch auch politisch sind die Emigranten Hitlers von nun an eine
unerträgliche Belastung.
War es schon viel, dass dieses Land in seinen alten Grenzen großzügig
Schutz gewährte, so ist die Lage heute völlig aussichtslos,
und nicht nur um der Tschechen, auch um der Emigranten willen, die
jetzt schon jedem Zugriff Hitlers ausgeliefert wären, ist zu
hoffen und zu bitten, dass sie in anderen Ländern, dass sie
in I h r e m Lande, Herr Präsident, ein rasches Unterkommen,
Schutz und Arbeit finden.
Zu dieser, der Zahl nach kleinen, Emigrantengruppe kommt aber nun
die neue, größere, aus den von deutschem Militär
besetzten und von Deutschland widerrechtlich – ohne Plebiszit
– geraubten Städten, Dörfern der Sudeten; d i e
Menschen also; die – gerade weil sie wahre Deutsche sind –
nach Hitlers Herrschaft und nach seiner „Volksgemeinschaft“,
die für sie Verfolgung und Gefängnis heißt, keine
Sehnsucht haben, die lieber noch den Weg des Elends, einer ungewissen
Zukunft, wählen.
Diese Menschen werden, von Haus und Hof vertrieben, mit dem wenigsten
versehen, unter Hinterlassung ihrer Häuser, ihrer Felder und
Geschäfte, ihrer Arbeitsplätze, in das Landesinnere fliehen
und dort aus dem weit engeren Gebiet der neuen Grenzen die allgemeine
Not des Staates noch vergrößern, die Arbeitslosenzahl
erhöhen, in fremdem Raume, kaum der Sprache mächtig, bald
materieller Not und seelischer Verzweiflung ausgeliefert sein.
Zu alledem wird durch ihr bloßes Da-sein n o c h m a l s eine
deutsche Minderheit geschaffen und die Tschechen werden, aus Angst
der bittersten Erfahrung, früher oder später den Weggang
dieser unerwünschten Eindringlinge fordern. Denn leider wird
– nach allem, was geschehen, wohl begreiflich – in Zukunft
j e d e r Deutsche, und mag er noch so staatstreu sich bewähren,
Gefahr und Gegner sein.
Da aber dieser Staat nun endlich doch das Recht hat, zu verlangen,
dass er allein in Ruhe, ohne Minderheiten, an den Aufbau einer neuen
Zukunft gehen darf, m u s s vermieden werden, dass diese emigrierten
Deutschen an einem neuen Unheil schuldlos schuldig werden und am
Ende gar das unverdiente Los der Ächtung und des Ausgeschlossenseins
erdulden.
Allen heute schon Bedrohten, die diese so genannte Friedens Last
zu tragen haben, muss eine neue Heimat zubereitet werden.
Es wäre Krönung Ihres Friedenswerks, Herr Präsident,
wenn Sie Verfügungen erlassen würden, die nötig sind,
um dieses Menschenmaterial, das tüchtig ist und tapfer, gewohnt
an harte Arbeit, aufzunehmen und diesen Kampferprobten neue Arbeitsfelder,
eine neue Heimstatt – sicherer und aussichtsreicher als die
alte – zu bereiten.
Schon einmal hat Amerika der Alten Welt, Europa, einen großen
Dienst erwiesen, als es vor mehr als 150 Jahren das Ideal der Freiheitskämpfe
Ihres Volkes nach Frankreich brachte und Befreier ward des v i e
r t e n Standes.
Befreien Sie den f ü n f t e n Stand, Herr Präsident,
den Stand der Emigranten!
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