Interview mit Frederic W. Nielsen
„Eigentlich müsste ich Hitler dankbar sein”
Herr Nielsen, vor einigen Wochen haben Sie in Stuttgart einen
Vortrag mit dem Titel „Buch in Flammen“ gehalten. Was
bezweckten Sie damit?
Ich wollte in der Form einer literarischen Montage nationalsozialistischen
Ungeist mit den Bekenntnissen des damals verfemten deutschen Schrift-
stellertums konfrontieren, indem ich braune Rundfunkkommentatoren
die Arbeiten der Geächteten und Verbrannten gegenüberstellte.
Soviel ich den Vorankündigungen entnehmen konnte, haben
Sie denselben Vortrag auch schon in früheren Jahren gehalten.
Ganz richtig. Die Premiere fand am 10. Mai 1934, am ersten Jahrestag
dieser bizarren Volksbelustigung, in der Prager Urania statt. Das
Interesse war so groß, dass der Vortrag öfter wiederholt
werden musste und im Jahre 1936 in tschechischer Sprache veröffentlicht
wurde.
Haben Sie seinerzeit die Bücherverbrennung miterlebt?
Ich war zwar im Frühjahr 1933 noch in Berlin, hatte aber nicht
das Bedürfnis, diesem Schauspiel persönlich beizuwohnen
- genau so wenig wie ich jemals Zuschauer einer öffentlichen
Hinrichtung sein würde. Und um eine Hinrichtung hat es sich
gehandelt – um die des deutschen Geistes.
Im Mai 1933 lebten Sie also noch in Deutschland. Wann sind
Sie emigriert?
Im Oktober 1933, an einem Freitag, dem dreizehnten.
Was war der eigentliche Anlass, die Heimat zu verlassen?
Ich hatte, wie leider viel zu wenige, „Mein Kampf“ aufmerksam
gelesen und ich nahm, im Gegensatz zu vielen anderen, zumindest
Hitlers Drohungen bitter ernst. Im Programm des Führers standen
zwei Kriege, einer mit Frankreich, ein anderer mit Russland. Schon
1924 hatte Adolf Hitler diese Ziele angekündigt.
Warum sind Sie erst im Oktober 1933 emigriert?
Weil ich es monatelang nicht für möglich gehalten hatte,
dass die Westmächte die heraufziehende Gefahr und ein System
der Gewalt ruhig und tatenlos hinnehmen würden. Bereits im
ersten Jahr des Dritten Reiches war das Ausland Zeuge einer Reihe
von unheilverkündenden Maßnahmen gewesen: des Reichstagsbrandes
und der blutigen Verfolgung aller politischen Gegner; der Konzentrationslager,
die wie Giftpilze aus der Erde schossen; einer ebenso totalen wie
erbärmlichen freiwilligen Gleichschaltung aller bürgerlichen
Parteien; des Judenboykotts, der Bücherverbrennung. Und dieses
Ausland reagierte darauf wie jene Affen, die nichts hörten,
nichts sahen, nichts sagten.
Sind Sie alleine ins Exil gegangen?
Nein, ein einziger Freund hat mich begleitet: Peter Bohnenstroh,
die heitere Versfigur eines Pechvogels, die ich in jenen Monaten
der Sorge und des Wartens in Berlin geschaffen hatte. In einer seiner
Episoden, „Bohnenstroh emigriert“, begründet er
seinen Entschluss so:
Bohnenstroh entdeckt mit Grau’n
Nur noch Deutsche, welche braun,
und entschließt sich, mit den andern,
die dagegen, auszuwandern,
- weil das Leben, wenn es roh,
unerträglich Bohnenstroh.
Deshalb packt er seine sieben
Sachen, die ihm noch geblieben,
und entweicht, wenn auch nicht gerne,
mit dem D-Zug in die Ferne,
in ein Land, das schön und frei
(unberufen toi – toi – toi)
in die Tschechoslowakei.
Sie waren bis 1939 im tschechischen Exil. Ihr Kampf gegen die
Nazis hat Sie zur Nummer 7 auf der Gestapo-Suchliste gemacht –
aber Sie konnten das drohende Unheil nicht abwenden. Haben Sie Ihre
Emigration jemals bereut?
Nein, ich müsste Hitler persönlich sogar dankbar sein;
ohne ihn hätte ich wohl nie die Heimat verlassen, wäre
nicht Schriftsteller geworden, hätte ein weitaus inhaltsloseres
Leben geführt und – vor allem – meine aus Böhmen
stammende Frau, treue Lebensgefährtin über mehr als 45
Jahre, nie kennen gelernt! So liegt in jedem Unheil auch ein Heil
verborgen.
|